Apotheken-Reformgesetz analysiert: Honorarumverteilung und »Apotheke-light«
Mitte Juni 2024 hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach das Apotheken-Reformgesetz (ApoRG) vorgelegt. Es enthält Maßnahmen, die das Apothekenhonorar und die -struktur stark verändern würden. Wir haben eine erste Analyse vorgenommen.
1. Honorar-Änderungen bedeuten Umverteilung
Die Honorarpläne sehen vor, den prozentualen Aufschlag auf den Apothekeneinkaufspreis von Rx-Arzneimitteln von heute 3,0 Prozent auf zunächst 2,5 Prozent (2025) und dann 2,0 Prozent (ab 2026) abzusenken. Im Gegenzug soll der Festzuschlag zum 01. Januar 2025 auf 8,66 Euro und ein Jahr später auf 9,00 Euro angehoben werden. Außerdem soll der Notdienstzuschlag künftig 28 Cent statt 21 Cent pro Packung betragen, die Finanzmittel dafür werden durch eine Senkung des Zuschlags für pharmazeutische Dienstleistungen gegenfinanziert. Hinzu kommt, dass bereits gesetzlich festgelegt ist, dass der Apotheken-Abschlag ab Februar 2025 wieder auf 1,77 Euro brutto je Rx-Packung sinkt. Ab 2027 soll die Apothekerschaft mit dem Spitzenverband der Krankenkassen über Honoraranpassungen verhandeln.
Die Änderungen sollen laut Entwurf aufkommensneutral und geeignet sein, »grundversorgende Apotheken in der Fläche« zu stärken. Unsere Analyse zeigt, wie die Auswirkungen im Detail sind und dass die Versprechen des Ministeriums der Realität zumeist nicht standhalten:
- Die beschriebene »1:1 Anpassung« von Fixzuschlag und Prozentzuschlag wird im Durchschnitt zwar tatsächlich erreicht. Wie die Grafik zeigt, erzielt die Durchschnittsapotheke über beide Jahre zusammen 16.000 Euro mehr Rohertrag. Etwa die Hälfte der Verbesserung wird allerdings durch die ohnehin bereits gesetzlich verankerte Absenkung des Kassenabschlags erzielt.
- Land- oder Dorfapotheken werden in geringem Maße bessergestellt als der Durchschnitt.
- Ergebnisschwache Apotheken profitieren weniger als andere.
- Hochpreisige Arzneimittel verlieren bis zu einem Drittel an Rohgewinn, spezialversorgende Apotheken damit stark an Ertrag. Diese Versorgung würde deutlich weniger attraktiv, die Auswirkungen auf das Versorgungsangebot sind derzeit nicht abschätzbar.
- Die Reform enthält keinerlei Maßnahmen, um erwartete Kostensteigerungen der nächsten Jahre (und ebenso wenig der Vorjahre) zu kompensieren. Zu rechnen ist mit rund 20.000 Euro Mehrausgaben pro Jahr!
Damit ist die Honorarreform nicht ausreichend, um die Versorgungslage der Apotheken zu stabilisieren.
Die Honorarpläne sorgen also weder für eine gezielte Stärkung von Apotheken noch für ein Ende der negativen Schließungsdynamik. Sie bedeuten stattdessen eine Umverteilung des Honorars je nach Standort und Verordnungsstruktur. Denn: Durch die Reform wären Apotheken mit »günstigen« Verschreibern auf der Gewinnerseite, Apotheken mit »teuren« Verschreibern auf der Verliererseite.
Die Verhandlungslösung ab 2027 ist zwiespältig zu sehen. Auf der einen Seite könnte sie der Apothekerschaft wieder mehr Einflussmöglichkeiten auf die Honorare geben, eine Anpassungsdynamik auslösen und politischen »Kuhhandel« verhindern. Auf der anderen Seite drohen ohne rechtssichere Definition der Ausgangsbasis sowie der Anpassungskriterien Dauerstreit um Sparrunden.
2. Rx-Skonto wird wieder erlaubt
Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) von Anfang Februar 2024 dürfen Einkaufsvorteile auf verschreibungspflichtige Arzneimittel maximal in Höhe der Großhandelsmarge erfolgen. Darüberhinausgehende Skonti sind untersagt, Lieferanten haben seit Mai die Konditionen verändert. Für eine Apotheke von durchschnittlicher Umsatzgröße errechneten wir einen Skontoverlust vor Kompensationen von etwa 23.000 Euro pro Jahr.
Als Reaktion auf das Urteil sollen nach Inkrafttreten der Reform handelsübliche Skonti über die 3,15 Pozent Großhandelsspanne hinaus durch eine Änderung der Arzneimittelpreisverordnung wieder zulässig sein. Dies bedeutet, dass die jetzt im Mai und Juni abgeschlossenen Vereinbarungen zum Jahresende hin wieder verändert werden können. Ob dies jedoch ein Zurück zu den alten Konditionen bedeutet, ist nicht sicher.
3. Strukturelle Anpassungen auf dem Weg zur »Apotheke-light«
In Filialapotheken muss den Plänen zufolge nicht mehr ständig ein Apotheker anwesend sein. Es soll genügen, dass ein Leiter mindestens acht Stunden je Apotheke anwesend ist. Der Betrieb kann danach durch eine besonders qualifizierte PTA erfolgen, die bei Bedarf Rücksprache mit einem Apotheker per Video-/Tele-Pharmazie halten muss. Weiterhin soll eine Aufteilung der Filialleitung auf zwei Approbierte möglich werden. Außerdem müssen Filialen künftig nicht mehr in demselben oder einem benachbarten Kreis belegen sein, sondern wären auch im Umkreis von bis zu drei Autostunden Erreichbarkeit zulässig.
Zweig-Apotheken sollen einfacher zugelassen werden, um in unterversorgten Regionen die Arzneimittelversorgung zu gewährleisten. Die Definition der Unterversorgung wird so angegeben, dass in einem Ort oder Ortsteil keine Apotheke vorhanden ist. Der Ermessensspielraum der Erlaubnisbehörde wird dabei explizit reduziert. Zweig-Apotheken können weniger aufwendig ausgestattet sein: Es muss kein Rezepturarbeitsplatz vorgehalten werden und es gibt räumlich weniger Ansprüche. Identitätsprüfungen von Arzneimitteln und Ausgangsstoffen werden zudem auf eine Apotheke pro Filialverbund begrenzt. Inhaber sollen bis zu zwei Zweig-Apotheken zusätzlich zu ihren Haupt- und Filialapotheken öffnen dürfen. Ein Verbund könnte dann aus sechs Apotheken bestehen.
Der Gesetzgeber sieht als Vorteil in diesen Regelungen einen Erhalt von Apotheken in der Fläche. Wirtschaftlich sind diese Änderungen für manche Apotheken interessant, um Kosten zu reduzieren und Personalengpässe zu überwinden. Allerdings drohen unkalkulierbare Risiken durch Aushöhlung der apothekerlichen Präsenzpflicht und eine Wettbewerbsverzerrung zwischen vollversorgenden Apotheken und künftigen »Light-Apotheken«.
4. Weitere Maßnahmen
Apotheken dürfen zukünftig kürzer öffnen: montags bis freitags mindestens 7 Stunden, samstags mindestens 4 Stunden plus festgelegtem Notdienst, Zweig-Apotheken nur 4 Stunden alle Tage. In einigen Kammerregionen gibt es solche oder ähnliche Lockerungen bereits heute; dort wird insofern damit nur ein bereits praktizierter Status aufgegriffen.
Apotheken dürfen ab 2025 nahezu alle Impfungen an erwachsene Kunden verabreichen. Die Vergütung soll unter der der Ärzte liegen und muss noch ausgehandelt werden. Überdies können in Apotheken Schnelltests auf Influenza-, Noro-, Rota-, RS- und Adenoviren angeboten werden, auch als In-vitro-Diagnostik.
Betäubungsmittel müssen nicht mehr verschlossen gelagert werden, um eine Einlagerung in Kommissionierautomaten zu ermöglichen. Behörden sollen Stichproben machen, um sich weiterhin die separaten Bestands- und Nachweisinformation anzusehen zu können.
Beschäftigungsmöglichkeiten weiterer Berufsgruppen mit geeigneter Ausbildung für bestimmte unterstützende Tätigkeiten in der Apotheke sind geplant. Zudem sind Anpassungen in der Arzneimittelabgabe formuliert, die den Austausch und Teilmengen betreffen.
5. Zum Zeitplan
Laut Referentenentwurf ist explizit keine Zustimmung durch den Bundesrat vorgesehen. Das parlamentarische Verfahren wird voraussichtlich nach der Sommerpause durchgeführt werden; ein Inkrafttreten ist damit nicht vor Jahresbeginn 2025 zu erwarten. Die erste Stufedes Honorarumbaussoll zum 1. Januar oder 1. April 2025 wirksam werden, die zweiteÄnderung zum 1. Januar 2026.
- Dr. Sebastian Schwintek
Rechtsanwalt (Syndikusrechtsanwalt)
GeneralbevollmächtigterTelefon: 0511 83390 -0Fax: 0511 83390 -340 - Guido Michels
Diplom-Ökonom
Stellvertretender Leiter der Abteilung Betriebswirtschaft
Telefon: 0511 9859196 -191
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